JAZZ IST VIELFALT
Investiert in Kultur!
Ein gemeinsamer Appell der Jazzverbände & Jazzakteur*innen
Die aktuell bereits beschlossenen und noch geplanten Kürzungen auf Bundesebene, in den Ländern und Kommunen haben, besonders in ihrer Gleichzeitigkeit, gravierende Auswirkungen für die Jazz- und Improvisationsszene in Deutschland.
Insbesondere die in Berlin, Dresden, München und Köln geplanten massiven Kürzungen lassen katastrophale Folgen erwarten. Der Wegfall von geförderten Proberäumen, Ausfall von Festivals und Reihen sowie weiteren wichtigen Stipendien- oder Projektförderungen sind aktuell zu erwarten. Auf Bundesebene droht besonders der Musikfonds, eine der beiden wichtigen Bundesfördereinrichtungen, um ca. 50 Prozent gekürzt zu werden. Die Auswirkungen im Bereich der Initiative Musik sind noch nicht abzuschätzen, doch auch hier drohen Kürzungen einzelner Förderprogramme die z. B. den Spielstättenprogrammpreis APPLAUS oder die Künstler*innenförderung betreffen könnten.
Jazz und Improvisierte Musik in Deutschland sind Kunstformen, die fast ausschließlich in der freien Szene stattfinden. Anders als bei anderen Kunstformen gibt es so gut wie keine festen Strukturen, beispielsweise institutionell geförderte Spielstätten oder feste Arbeitsverhältnisse. Fast das gesamte Musikleben in diesem wichtigen Bereich hängt von kurzfristigen, also meist jährlich vergebenen Projektmitteln ab oder wird in privatwirtschaftlich oder ehrenamtlich geführten Veranstaltungsorten veranstaltet. Schon in der Pandemie wurde sichtbar, wie fragil und prekär dieses System ist. Jetzt zeigt es sich wieder.
Dies hat zur Folge, dass die Freie Szene durch solche Kürzungen heftiger und sehr viel nachhaltiger getroffen wird als die staatlichen Institutionen.
Es drohen Verluste an Quantität, an Qualität und vor allem an Vielfalt, für die die Jazz- und Improvisationsszene in Deutschland in besonderem Maße steht. Das Dach dieses Begriffs, unter dem sich die verschiedensten Strömungen aktueller improvisierter Musik versammeln, könnte größer und spannender nicht sein. Diese Kunstform steht für niedrigschwellige Zugänge, ein Publikum so vielfältig wie die Musik und Perspektiven, die in staatlichen Institutionen so nicht stattfinden. Wir bringen Kultur abseits der großen Häuser auch in die ländlichen Regionen.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Akteur*innen sind, wie die Jazzstudie 2022 zeigt, prekär. Durchschnittlich verdienen Jazzmusiker*innen 21.000 Euro brutto pro Jahr, mehr als 60 Prozent haben weniger zur Verfügung. Mit den aktuellen Kürzungen wird sich die Situation verschärfen. Während die Jazzmusiker*innen mit geringen Honoraren auskommen müssen, werden die meisten Veranstaltungen von ehrenamtlich tätigen Menschen organisiert. Mit den Kürzungen wird eine an sich schon fragile Infrastruktur zerstört, die nur mit sehr viel Zeit und Mühe wieder aufzubauen wäre.
Während in den Städten Spielstätten mit hohen Mieten, steigenden Energiekosten und Lärmvorschriften zu kämpfen haben, kommen in den ländlichen Regionen oftmals noch fehlende Förderstrukturen hinzu – Herausforderungen, die durch immer stärker werdende antidemokratische Tendenzen verstärkt werden. Insbesondere im ländlichen Raum bieten die Förderinstitutionen des Bundes bislang wichtige Hebel, um exzellente Veranstaltungen und eine Vielfalt von Perspektiven auch in diesen Räumen zu ermöglichen.
Geschrumpfte Fördertöpfe werden für eine stärkere Konkurrenz und damit massive klassistische Effekte sorgen: Noch mehr wird gelten, dass man es sich leisten können muss, Jazz zu spielen, zu veranstalten und live zu erleben. Marginalisierten Gruppen wird die Teilhabe erschwert.
Diese besorgniserregenden Entwicklungen konterkarieren alle bisher mühsam errungenen Erfolge der letzten Jahre: die Einrichtung verbindlicher Honorarstandards bei geförderten Projekten, wichtige Förderprojekte wie Stipendien und Ensembleförderungen und Mittelaufwüchse. Der Weg hin zu einer resilienteren, nachhaltigen Aufstellung der Szene wird damit durch eine inkonsistente und kurzfristig angelegte Kulturpolitik zunichtegemacht.
Die aktuelle Lage zeigt in erschreckender Weise, dass es offenbar keinen politischen Konsens und kein Verständnis dafür gibt, wie groß die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Kultur ist und welche gesellschaftliche Wirkmacht insbesondere das Kulturangebot der Freien Szene hat.
Das Berufsbild der Jazzmusiker*innen ebenso wie der Berufsmusiker*innen allgemein steht auf dem Spiel. Es drohen Verlust von Expertise, Kompetenz und Vielfalt. Denn die hybriden und schon jetzt prekären Lebensmodelle werden unter diesen Bedingungen nicht mehr funktionieren.
Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf Bundes- und den Länderebenen auf, sich die katastrophalen Auswirkungen der geplanten Einschnitte bewusst zu machen und die angekündigten Kürzungen zurückzunehmen!